KONZERTBERICHT

vom 6. Mai 2023

 

Mit Bachs Präludium und Fuge Es-Dur, einem Meisterwerk des Leipziger Thomaskantors, eröffnete Reinoldikantor Christian Drengk die Orgel-Gala, die dem Publikum in der nahezu ausverkauften Reinoldikirche die Vielfalt und Bandbreite der neuen Orgel präsentieren sollte.

Vor etwas über einem Jahr erst wurde die Hauptorgel fertiggestellt. Aurel Dawidiuk, ehemaliger Stipendiat der Mozart-Gesellschaft und ein „Rising Star“ in der Orgelszene begeisterte die Zuhörer mit einem zeitgenössischen japanischen Orgelstück. Für eine besondere Atmosphäre sorgte das Leipziger Jazz-Duo David Timm (Orgel) und Reiko Brockelt (Saxophon) mit Adaptionen zweier Bach-Orgelwerke, darunter die berühmte d-Moll-Toccata als Samba. Als wahrhaft königlicher Beschluss erklang ein Voluntary von John Stanley, gespielt vom Solo-Trompeter der Dortmunder Philharmoniker, Daniel Hufnagl und Dawidiuk.

Im zweiten Teil, der auch live im Stream von DortBunt übertragen wurde, wurde die Orgel im Zusammenklang mit der menschlichen Stimme vorgestellt. Der Dortmunder Bachchor und Mitglieder des Philharmonischen Chores unter Leitung von Christian Drengk brachten zwei Vertonungen des Psalmes „Laudate dominum“ zu Gehör. In der Version von Marcel Dupré sind zwei Organisten verlangt – an der Chororgel saß wiederum Dawidiuk, an der Hauptorgel war das erst Mal Stephen Tharp zu hören, der für das Event extra aus New York anreiste. In der Fassung von W.A. Mozart hatte Lavinia Dames, Mitglied der Deutschen Oper Düsseldorf, ihren Auftritt und verzauberte das Publikum mit glockenklarer Stimme. In Webbers „Pie Jesu“ sang Dames gemeinsam mit Raphael Dieterle, einem Knabensopran aus den Reihen des Konzertchores der „Akademie für Gesang NRW“, der auch in den abschließenden „Chichester Psalms“ von Leonard Bernstein zu hören war.

Unter Leitung des renommierten Dirigenten Ralf Weikert spielte im dritten Teil der Gala das junge Orchester des Orchesterzentrums NRW auf. Dass die Orgel auch mit der Klanggewalt des groß besetzen Apparates zurecht kommt, wurde wiederum eindrucksvoll von Stephen Tharp unter Beweis gestellt, der am Zentralspieltisch beide Orgeln meisterhaft bediente. Es erklangen selten gespielte aber einzigartige und mitreißende Werke von Joseph Jongen und Charles-Marie Widor. Mit stehenden Ovationen und nicht enden wollendem Applaus bedankte sich das Publikum bei den über 160 Ausführenden dieser bemerkenswerten Orgel-Gala.

Im März des vergangenen Jahres wurde der Bau der neuen Orgelanlage in der Stadtkirche St. Reinoldi mit dem Hauptinstrument auf der Westempore und der Chororgel im südlichen Querschiff abgeschlossen. Dieses exklusiv für St. Reinoldi konzipierte kirchenmusikalische Schmuckstück mit visuellen und klanglichen Qualitäten auf höchstem Niveau bildet ein europaweit herausragendes, innovatives und flexibles Konzertinstrument, das sowohl dem liturgischen Einsatz als auch höchsten Konzertansprüchen gerecht wird.

Die Orgel ist eines der ältesten und zugleich das größte aller Musikinstrumente. Sie wird nicht nur im sakralen Kontext verwendet, sondern ist zweifellos ein unverzichtbarer und unschätzbarer Teil unseres kulturellen Erbes, das seit Jahrhunderten von Generation zu Generation weitergegeben, gepflegt und fortentwickelt wird. Die Orgel gilt als „Königin der Instrumente“, stellt sie doch ein äußerst vielseitiges und komplexes musikalisches Wunderwerk aus Registern, Manualen und Pedalen dar, das höchste Ansprüche an die Spielerin bzw. den Spieler stellt. Ihr Frequenzspektrum reicht vom tiefsten Laut, der für menschliche Ohren jenseits der Hörbarkeitsgrenze liegt und nur physisch gespürt werden kann, bis in die höchsten Höhen. Kein anderes akustisches Instrument ist so vielfältig in Klang und Dynamik – vom zartesten einsamen Ton bis hin zu gewaltigen Akkorden, die Böden und Wände zum Vibrieren bringen. Seit 2017 sind Orgelmusik und Orgelbau durch die UNESCO als immaterielles Kulturerbe anerkannt.

Die Stadtkirche St. Reinoldi und die Kulturstiftung Dortmund freuen sich sehr, die enorme Klangfülle dieses fantastischen Instrumentes im Rahmen einer Orgel-Gala der breiten Öffentlichkeit zu präsentieren. Mehr als 160 Musikerinnen und Musiker, zu denen international renommierte Stars ebenso wie junge Solistinnen und Solisten aus der Reihe „Next Generation“ und engagierte Interpretinnen und Interpreten der Dortmunder Kulturszene zählen, werden diesen Abend gestalten und zu einem besonderen musikalischen Erlebnis machen.

Wir wünschen allen Besucherinnen und Besuchern unserer imposanten Stadtkirche
St. Reinoldi eine stimmungsvolle, unvergessliche Orgel-Gala, deren große stilistische Bandbreite und musikalische Höhepunkte noch lange nachklingen mögen.
 

Michael Küstermann
Pfarrer an der Ev. Stadtkirche St. Reinoldi 

René Scheer
Vorsitzender des Vorstands der Kulturstiftung Dortmund

Liebe Freunde der Orgelmusik,

eine spannende Herausforderung war die musikalische und dramaturgische Arbeit für das heutige Konzerterlebnis, in dessen Mittelpunkt die neue zweiteilige Orgelanlage der Firma Mühleisen steht.

Die Vielfältigkeit des Instrumentes findet sich in drei Programmteilen wieder, die gleichzeitig auch einen Streifzug durch die Epochen und Stile repräsentieren. Zur ersten Blüte der Orgelmusik kam es in der Barockzeit, als Komponisten wie Johann Sebastian zahlreiche Kompositionen schufen. Mit „Präludium und Fuge Es-Dur“ – dem „Opus magnum“ Bachs – wird der heutige Abend eröffnet.

Durch neue Kompositionen und der zunehmenden Virtuosität der Solisten entwickelte sich die Orgel nicht nur solistisch, sondern auch kammermusikalisch. Daher erklingen im ersten Teil der Orgel-Gala spannende Mischungen – mal klassisch mit Trompete und mal jazzig mit Saxophon.

Im zweiten Teil begegnet die menschliche Stimme den mächtigen Klängen der Orgel. Getreu der Aussage César Francks, „die Orgel ist mein Orchester“, präsentiert sie sich hier als variables Begleitinstrument sowohl für Kinderstimmen bei Webber und Bernstein bis hin zu den großen Solisten- und Chorpartien bei Mozart und Dupré.

Den Höhepunkt der Orgel-Gala bildet der dritte Teil, wenn die Orgel auf ein groß besetztes Sinfonieorchester trifft. Nachdem die Komponisten der Klassik der Orgelmusik eher distanziert gegenüber standen, gelang es Mitte des. 19. Jahrhunderts u.a. dem Franzosen Widor oder dem Belgier Jongen, die Orgel als solistisches Instrument in die Reihe der bedeutenden Klavier- oder Violinkonzerte aufzunehmen.

Christian Drengk                                                 
Reinoldikantor und künstlerischer Leiter des Dortmunder Bachchores

Ulrich Andreas Vogt
Vorstand der Kulturstiftung Dortmund

O-Töne Stephen Tharp (New York)

Es kommt nicht oft vor, dass eine Orgelgala, bei der ein neues Instrument im Mittelpunkt steht, mehr als drei Stunden mit zwei Pausen dauert. Doch genau das geschah am Samstagabend, dem 6. Mai, in der
St. Reinoldikirche in Dortmund. 

Christian Drengk, Schüler von Daniel Roth, Reinoldikantor, Leiter des berühmten Dortmunder Bachchores und ehemaliger Leiter der Freiburger Kantorei, war der geistige Vater dieser Veranstaltung, bei der die prächtige neue viermanualige Mühleisen-Orgel der Kirche im Mittelpunkt stand. 

Er war nicht nur ein freundlicher Gastgeber, sondern auch ein außergewöhnlicher Dirigent für eine Reihe von Chor- und Orgelwerken, die in Bernsteins Chichester Psalms gipfelten. Das Zusammenspiel mehrerer hervorragender Chöre unter seiner Leitung sorgte für eine höchst inspirierte Aufführung - etwas, das ich seit meiner Zeit an der St. Bartholomew's in New York in den frühen 2000er Jahren nicht mehr begleiten durfte. Ich kann ihm gar nicht genug dafür danken, dass er mich eingeladen hat, an diesem Abend teilzunehmen!

Der letzte von drei Teilen des Abends war ein seltener Moment. Zwei groß angelegte Orgel- und Orchesterwerke als Abschluss eines langen Programms, das eher an das Einweihungskonzert einer neuen, noch nie zuvor gehörten Orgel erinnerte als an diesen "späten Moment" (der diese Dortmunder Kirche, die älteste der Stadt aus dem Jahr 1270, bis auf den letzten Platz füllte). Widors monumentale und statuarische 3. Sinfonie op. 69, die an Strauss und Brahms erinnert, wird so gut wie nie aufgeführt, und genau aus diesem Grund schlug ich ihre Aufführung vor, und wir alle waren begeistert!  Das war auch gut so, denn die Aufführung war stratosphärisch. 
Das OZM-Sinfonieorchester des Orchesters Zentrum NRW, ein großes Ensemble von Studierenden, das so scharf spielt wie kein anderes Orchester in dieser Altersklasse, das ich je gehört habe, war an diesem Abend engagiert. Es war sehr bewegend, ein junges Orchester mit solch elektrischer Energie, Präzision und Homogenität spielen zu sehen. 

Jongens Symphonie Concertante bot all die Renoir-, Ravel- und Feuerwerkskörper, die man sich zum Abschluss dieses großartigen Abends wünschte. Am Pult dieser beiden Werke stand der österreichische Dirigent Ralf Weikert. Es war das erste Mal, dass wir zusammenarbeiteten, ein Mann, dessen Ruf ihm vorausging. Er ist eine so liebenswürdige und sanfte Persönlichkeit, und doch so präzise und kompromisslos, wie man es von einem erfahrenen Dirigenten im Alter von 80 Jahren erwarten würde. Aber das erwartete man von jemandem, der eine Reihe von Auszeichnungen und Kooperationen wie den Echo-Klassik, Marilyn Horne, Kurt Moll und so weiter vorzuweisen hat.  Er hat alles ins rechte Licht gerückt, mit graziöser, reifer Beredsamkeit und der Kraft von Granit.

Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass meine Frau Lena und ich uns vor 20 Jahren in Dortmund kennengelernt und den größten Teil unserer ersten beiden gemeinsamen Jahre hier verbracht haben. Es war also herrlich, so viele Freunde zu sehen! Solche Abende können wir alle auf unsere eigene Weise erleben, ob groß oder klein. Aber dieser Abend ist besonders bemerkenswert, weil er uns daran erinnert, wie ein "Publikum" gigantische Konzerte mit echter Substanz unterstützt und trägt. 

(orig. Englisch)

Fotos: © Jan Heinze / Ran Keren